Der Verzehr von Vermögen ist eine unangenehme Erfahrung, weil eben das eigene Vermögen mit jeder Entnahme schrumpft und damit implizit einhergeht, dass es irgendwann verbraucht sein wird. Aber genau dieses irgendwann ist der Schlüssel, der entweder Sicherheit geben kann oder Grund zur Besorgnis ist. Dafür muss sich jedoch die Mühe gemacht und berechnet werden, welcher Zeitraum mit realistischen Annahmen wahrscheinlich ist.
Die Schwierigkeit bei dieser Berechnung und der Vorstellung des Verlaufs ist aber nicht der Verzehr an sich, sondern dessen Verlauf. Er ist eben nicht linear, einmal abgesehen von dem Sonderfall der Anlage zu einem Zins in Höhe von 0%. Also wenn der Verzehr des ersten Prozentes ein viertel Jahr dauert, dann dauern die anderen 99% eben nicht 99-mal so lange oder knapp 25 Jahre. Der Verzehr erfolgt vielmehr ansteigend, das heißt er beschleunigt sich mit jeder Entnahme. Außerdem kann er leider nicht mit einer einfachen Formel berechnet werden, weil die Vermögensrendite selbst bei gleichem Verzehr einen großen Einfluss auf die Geschwindigkeit hat.
Die Ursache liegt darin begründet, dass der Verzehr nicht die komplette Ausgabe darstellt, sondern nur den über die Rendite erwirtschafteten Teil. Daher gibt jemand mit einer Vermögensrendite von 4% eben mehr aus als jemand mit einer von 1%, wenn der absolute Verzehr des Vermögens gleich hoch ist. Es verhält sich damit in gewissem Maße vergleichbar mit der Rückzahlung eines Annuitätendarlehens. Dort ist der monatliche Betrag aufgeteilt in Zins und Tilgung, wobei der Zins der Rendite und die Tilgung dem Verzehr entsprechen, wenngleich mit umgekehrten Vorzeigen.
Mit jeder Tilgung wird nun der Kredit ein wenig geringer und entsprechend auch der zu entrichtende Zins. Damit steigt die Tilgung und einhergehend die Geschwindigkeit der Rückzahlung. Beim Verzehr des Vermögens sinkt mit jedem Verzehr der Ertrag aus demselben und entsprechend nimmt der Verzehr zu. Dies ist anhand der Kursverläufe des Diagramms gut zu erkennen, weil die verschiedenen Kombinationen aus Vermögensrenditen und Verzehrraten unterschiedlich schnell Richtung 0 laufen.
Beispiele können den Sachverhalt gut illustrieren
Ausgehend von einem Vermögen in Höhe von 1,2 Mio. € ergibt sich beispielsweise bei einer Vermögensrendite von 1% und einem Verzehr in gleicher Höhe eine Dauer von gut 82 Jahren, die nicht mehr im Diagramm abgebildet ist. Dies entspricht Ausgaben in Höhe von 24.000 €, jeweils hälftig aus der Vermögensrendite und dem Verzehr. Bei einer Vermögensrendite von 5,5% und gleichem Verzehr hingegen ist das Vermögen schon nach knapp 35 Jahren aufgebraucht, allerdings liegen die jährlichen Ausgaben dann bei 78.000 €.
Ein höherer Verzehr, im Beispiel 30.000 € oder 2,5% pro Jahr anstatt 12.000 € oder 1% pro Jahr führt ebenfalls zu einer Verkürzung des Zeitraums, in dem das Vermögen aufgebraucht wird. Statt 82 und 35 Jahre sind es dann nur noch 36 und 21 Jahre, im ersten Fall etwas mehr als halbiert und im zweiten etwas weniger. In allen Fällen sind es jedoch deutlich weniger als die linearen 100 Jahre bei 1% beziehungsweise 40 Jahre bei 2,5%, welche den Anstieg nicht berücksichtigen.
Zwei Dinge sind aber doch unterschiedlich zwischen der Tilgung eines Kredites und dem Verzehr von Vermögen. Erstens wirkt die Inflation gegensätzlich, weil der Nominalbetrag des Kredites durch die Inflation entwertet wird. Dies hilft dem Schuldner, während die Entwertung des Vermögens dem Verzehrenden schadet. Gleiches gilt für die Kreditraten, weil die nominalen Beträge weniger wert werden, der Verzehrende bei gleichem Betrag aber weniger Güter erwerben kann.
Der zweite Punkt betrifft die Liquidität. Während sich der Kreditnehmer keine Gedanken über die Liquidität des Kreditgebers zu machen braucht und einfach monatlich seine Kreditrate bezahlt, sieht diese Situation beim Verzehrenden anders aus. Hier ist durchaus dafür zu sorgen, dass der für die Ausgaben vorgesehene Betrag zur Verfügung steht. Ist das Vermögen jedoch gebunden, so muss es erst umgewandelt sprich verkauft werden, was bei Aktien einfach, bei einer Immobilie jedoch schwerer ist.
Die Rendite des Vermögens spielt beim Verzehr die entscheidende Rolle
Abgesehen von den Zeitpunkten des Verkaufs, die günstig oder eben nicht sein können, verändert sich mit dem Verzehr der Liquidität in den meisten Fällen auch die Vermögensrendite. Sind von der 1,2 Mio. € beispielsweise 1 Mio. € in einem Mehrfamilienhaus investiert und 200.000 frei verfügbar, so rentieren beide Anlagen unterschiedlich. Unter der Annahme einer Mietrendite von 3,0% und einer Rendite auf Tagesgeld von 0%, ergibt sich eine Vermögensrendite von 2,5%. Mit jedem Verzehr steigt diese jedoch an, bei vollständigem Verbrauch der Liquidität wird sie gleich der Mietrendite von 3% sein.
Das Vermögen wird sich in diesem Fall wie geschildert entwickeln, spätestens mit dem Verbrauch der Liquidität wird sich jedoch die Frage stellen, wie der weitere Verzehr gedeckt werden kann. Bei einem Verzehr in Höhe von 1% wird es nach knapp 17 Jahren und bei 2,5% sogar schon nach knapp 7 Jahren der Fall sein. Zu diesem Zeitpunkt muss dann entweder die Immobilie komplett, oder wenn möglich nach Teilung ein Teil verkauft werden, um wieder flüssige Mittel für den Verzehr zur Verfügung zu haben.
Die Gefahr beim Verzehr des eigenen Vermögens liegt nach meiner Einschätzung darin, dass die Geschwindigkeit immer weiter zunimmt und die Inflation ein weiterer unkalkulierbarer Beschleuniger sein kann. Der Schlüssel zu einem erfolgreichen Verzehr liegt daher in einer vorausschauenden Liquiditätsplanung und dadurch wenigstens durchschnittlicher Verkaufspreise der Vermögenswerte. Ein schlechter Aktienmarkt mit einem Tief kann Schmerzen bereiten, ein schlechter Immobilienmarkt mit einem Notverkauf jedoch vermutlich noch ein wenig mehr.
Die generelle Thematik des Verzehrs wird auch in folgenden Beiträgen beleuchtet:
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